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Von Allenlüften nach Barcelona – oder: Sind Fussballfans schlechte Menschen?


Fussball war als Bub meine grosse Leidenschaft. Wenn wir in der Sekundarschule Allenlüften im Turnunterricht ab und zu eine ganze Doppellektion kicken durften, war dies für mich und auch für viele Mitschüler das Grösste. Doch eines Tages war ich extrem frustriert, nicht wegen des 4:4-Unentschiedens gegen die Parallelklasse, sondern wegen des Gefühls, beschissen worden zu sein. Immer und immer wieder fand der Schiedsrichter respektive Turnlehrer merkwürdige Gründe, eine gute Torchance durch einen Pfiff zu vereiteln. Wahrscheinlich handelte der Lehrer aus pädagogischer oder sozialer Warte richtig, doch das verstand ich damals noch nicht.

Warum ich diese doch so unwichtige Episode teile? Immer häufiger beschleicht mich beim Fussballgucken vor dem Fernseher ein ähnliches Gefühl von Ohnmacht und Ungerechtigkeit wie damals auf dem holprigen Rasen neben dem Turnschopf von Allenlüften. Da war zum Beispiel der 6:1-Erfolg, mit dem Barcelona in der Champions League unerwartet die Wende gegen PSG gelang. Fast alle Zeitungen dieser Welt schrieben vom «grössten Comeback in der Geschichte der Champions League». Das Problem war, dass das 5:1 kurz vor Schluss durch einen Penalty nach einer himmeltraurigen Schwalbe von Luis Suarez gefallen war. Doch das kümmerte abgesehen von den Paris-Anhängern niemanden, weder die Milliarden von Fussballfans noch, und das ist wirklich traurig, die allermeisten meiner Berufskollegen.

Dann kam das Viertelfinal-Rückspiel zwischen Real Madrid und Bayern München: Fehlentscheide von grosser Tragweite noch und noch. Das soll keine Kritik an den Schiedsrichtern sein, denn deren Job ist brutal schwierig. Es ist eine Kritik am System; im Profifussball ist unfair längst ein Synonym für clever geworden. Doch weil in diesem Drecksgeschäft sehr viele Leute unanständig viel Geld verdienen, kümmert das niemanden. Es gibt Funktionäre und Journalisten, die argumentieren, umstrittene oder gar falsche Entscheide machten eben gerade den Reiz aus, und deshalb den Videobeweis ablehnen. Die Fans rund um den Globus machen das alles mit, strömen in die Stadien, schalten den Fernseher ein und füllen so den unzähligen Betrügern die Taschen.

Übrigens: Vor vielen, vielen Jahren war es ein paar Wochen später in Allenlüften zu einem zweiten Duell mit der Parallelklasse gekommen. Diesmal trug ein Stellvertreter die Trillerpfeife um den Hals, und wir gewannen 14:3. Diese Art von Genugtuung werden die PSG-Profis nicht erleben, aber sie dürften es verkraften. Schliesslich lassen sich die meisten von ihnen im Strafraum auch gern fallen, und auch sie täuschen ab und zu Verletzungen vor, und auch sie versuchen immer wieder, den Schiedsrichter zu beeinflussen. Kurz: Auch sie profitieren von diesem System, in dem es längst nebensächlich ist, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Hauptsache, die Kasse stimmt.

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